November
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Gedicht zum November 2013: Baum im Nebel
 

Angenommen, da wäre ein Baum. Ein feierlicher Baum.
Nicht der Baum der Erkenntnis. Der macht wahnsinnig.
Sondern der Baum unseres Lebens. Das Leid gesunken
hinab in die Erde. Zum Greifen und endlosen Speisen bereit
das, was wir als Ernte empfinden: Die Früchte unseres Lebens.

Ja leider. Leider fällt das Greifen sehr schwer.
Der Baum steht im Nebel. Unsere Erinnerung taumelt.
Und wir spüren: Hier wartet Arbeit, die keiner von außen
bezahlen wird: Wir gehen hinein in den Baum.
Ja, das ist Arbeit. Marcel Proust legte sich jahrelang

ins Bett und schrieb: Oh Madeleine, Madeleine.
Ich versuche nicht, ihn zu lesen. Mit reicht, ihn zu verstehen.
Ich will weg vom langen Reim, weg vom Traum, hin zum Baum.
Die Spuren sind dichter geworden. Weit mehr als Dichter
können wir Fotografen und Filmer uns dokumentieren.

Das habe ich gemacht. Früh habe ich gegriffen
nach Kameras, später dann nach Computern. Und vom Himmel fiel
das Internet: Ich konnte recherchieren. Mein Buch wurde bunt.
Mein Baum ist dabei, greifbar zu werden. Eine rare Sensation.
Der Acker der Neuzeit, überdüngt und verblödend

erzeugt auf einem Feld am Rande Lebensbäume.
Erste Äpfel kann ich bereits pflücken. Keine Schlange in Sicht.
Feierliche Stille, fern vom Facebook-Getöse.
Drei Viertel der Erkenntnis stecken in diesem Baum.
Das letzte Viertel ist über-persönlich. Noch niemand

griff sich diese Frucht. Kollektiv stecken wir
in der Ahnung nur, wie sie wohl sei, die Erkenntnis.
Wir sind da wie frühe Vormenschen, die kapieren,
dass sie noch nichts kapieren von Chemie und Physik.
Ja, wir haben dazugelernt. Nein, wir sind noch entfernt

vom Verstehen der Regeln, vom Regelnkönnen gar
der Mechanik von Raum, der Grenze von Zeit.
Wir verstehen das Universum noch nicht.
Und auch das Greifenkönnen unserer Lebensbäume,
so ergreifend, das wir auf Kriege verzichten, dauert.

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